Unterschiede zwischen ITIL® 4 und ITIL® V3

Kim Schönrock

Das Wichtigste in Kürze

  • ITIL® 4 fokussiert sich vordergründig auf das Service Value System, also das Wertsystem einer Organisation. Bei ITIL® V3 lag der Fokus auf dem Business Alignment.
  • Während man bei ITIL® V3 von Prozessen gesprochen hat, spricht man bei ITIL® 4 von Praktiken. Hintergrund ist, dass ein Prozess im Wesentlichen nur den Ablauf beschreibt. Eine Praktik geht darüber hinaus und beschreibt auch die Fähigkeiten und Kompetenzen, die gebraucht werden, um die Abläufe bzw. Prozesse zu leben. Außerdem werden in den Praktiken auch die Werkzeuge aufgeführt, die ich benötige.
  • Die wichtigsten neuen Punkte bei ITIL® 4 sind die Bedeutung von IT-Servicemanagement in Bezug auf Unternehmensstrategie und -wachstum, die Anwendung von Agilität und DevOps und die Bedeutung von Partnerschaften und Kooperationen.

Welche Neuerungen und Vorteile bringt ITIL® 4 mit sich? Im Interview stellt sich Jovan Ilic den drängendsten Fragen und bringt Licht ins Dunkel.

Frage Nummer 1: Worin liegt der größte Unterschied zwischen ITIL® 4 und ITIL® V3 bzw. wo liegt die zentrale Neuerung?

Um das besser zu verstehen, muss man sich die Entwicklung von ITIL® im Gesamtzusammenhang ansehen. 1989 ist ja die erste Version von ITIL® rausgekommen, die im Wesentlichen den Fokus auf Prozessen hatte.

2001 hat man mit ITIL® V2 den Gedanken der Servicebereitstellung in den Fokus gesetzt. Das heißt, dass diese Prozesse einem Zweck dienen, nämlich als IT-Organisation Dienste bereitzustellen.

2007 mit ITIL® V3 hat man dann diesen Dienst-Gedanken weiter vertieft und hat den sogenannten ITIL® Service Lebenszyklus eingeführt. Man hat sich überlegt, inwiefern wird so ein Dienst entwickelt, eingeführt und betrieben, was letztendlich den Service Lifecycle ausmacht.

2011 hat man das in einer Revision von ITIL® V3 noch einmal verfeinert und den Blick in Richtung des Unternehmens ausgerichtet. Der Fokus dort war das sogenannte Business Alignment. Also zu gucken, inwiefern diese Dienste dem Unternehmen einen Nutzen bringen.

Wenn man sich das einmal anschaut und konsequent weiterdenkt, dann sieht man, dass sich ITIL® 4 genau in diese Richtung weiterentwickelt hat.

Ach ja? Inwiefern?

Ausgehend von dem Nutzen eines Dienstes für das Business fokussiert sich ITIL® 4 im Wesentlichen auf das sogenannte Service Value System. Es steht jetzt nicht mehr so sehr der Lebenszyklus im Fokus, sondern das Wertesystem, das eine Organisation aufbaut. In ITIL® 4 ist das Service Value System oder SVS das zentrale Element, welches alle Komponenten beschreibt und Aktivitäten einer Organisation, die gemeinsam als ganzheitliches System wirken, um Werte oder einen Nutzen für das Unternehmen zu schaffen. Das ist der Kerngedanke von ITIL® 4.

Ok, da machen wir gleich weiter. Aber lass uns jetzt erst einmal über ITIL® Practices sprechen. Wenn ich das richtig verstanden habe, dann gibt es im Bereich ITIL® die allgemeinen Unternehmenspraktiken, die Servicemanagement Praktiken und die technischen Praktiken. Kannst du die kurz erläutern?

Klar, kann ich. Nur bevor ich das mache, sage ich vielleicht zwei drei Worte zu der Praktik als solches. In ITIL® V3 hat man ja bis jetzt von Prozessen geredet und in ITIL® 4 reden wir von Praktiken. Der wesentliche Unterschied: Man hat festgestellt, dass ein Prozess im Wesentlichen nur den Ablauf beschreibt. Eine Praktik geht aber darüber hinaus. Sie beschreibt die Kompetenzen, die Fähigkeiten, die ich brauche, um diese Abläufe – sprich die Prozesse – zu leben und ergänzt das Ganze noch um die Werkzeuge, die mich dabei unterstützen. Das heißt eine Praktik ist viel umfassender als ein Prozess, da sie neben dem Ablauf auch den Menschen und die Technik mit berücksichtigt.

Ok. Das waren die Praktiken allgemein…

Genau. Schauen wir uns mal diese drei Gruppen von Praktiken an, die es in ITIL® 4 gibt. Da sind einmal die sogenannten allgemeinen Business Praktiken. Das sind Praktiken, die es schon heute in jedem Unternehmen gibt. Dazu zählen z. B. Personalmanagement, Risikomanagement, das Management von Lieferanten etc. Warum sollte die IT diese Praktiken also von der grünen Wiese entwickeln, wenn sie schon bestehende Praktiken aus dem Unternehmen übernehmen und für ihre Bedürfnisse adaptieren kann?

Das gleiche gilt auch für die zweite Gruppe von Praktiken: Das sind die sogenannten Servicemanagement Praktiken. Viele ITIL® Leute denken sofort über IT-Servicemanagement Prozesse nach. Aber in Wirklichkeit gibt es ja Servicemanagement auch außerhalb der IT. Das heißt, auch Unternehmen oder Unternehmensbereiche, die nicht den Fokus auf IT, sondern auf den Support von Kundenwerkzeugen oder so haben, haben ebenfalls Praktiken, die das Servicemanagement als solches beschreiben. Dazu zählen z.B. Störungsbehandlung, Einwandbehandlung, Reklamationen, Dokumentation oder auch die Kommunikation über den Servicedesk mit Kunden. All das gibt es auch außerhalb der IT und auch hier entleiht sich ITIL® 4 letztendlich diese Praktiken, die es ja schon in verschiedenen Servicemanagement-Umgebungen gibt und passt sie auf ihre Bedürfnisse an.

Lediglich die dritte Gruppe der Praktiken, die IT-Management Praktiken sind wirklich ausschließlich auf die IT gemünzt. Dazu gehört zum Beispiel das konkrete Deployment Management, Software Deployment oder das Management von Infrastrukturen, Netzwerken und Systemen. Das sind sehr spezifische IT-Praktiken.

Gibt es da noch Besonderheiten?

Besonders ist, dass diese Praktiken – früher Prozesse genannt – nicht mehr einer Phase zugeordnet werden. In ITIL® 4 ist es viel wichtiger, in so genannten Wertschöpfungsketten zu denken. Man überlegt sich: Okay, wie sieht eine Wertschöpfungskette aus, die ein Nutzen für ein Unternehmen bringt und welche dieser Praktiken muss ich für die jeweilige Wertschöpfungskette wie miteinander kombinieren? Es gibt also kein festes Gerüst mehr, bei dem bestimmte Praktiken zu bestimmten Phasen gehören.

Das zentrale Element ist das sog. Service Value System. Was genau versteht man darunter?

Das Service Value System besteht aus einer ganzen Reihe an Komponenten. Dazu gehören zum einen die sogenannten sieben Guiding-Prinzipien. Das sind ganz konkrete Hinweise und Tipps wie ich Wertschöpfungsketten in ITIL® 4 umsetzten kann.

Das zweite Element ist die sogenannte Governance: Wie baue ich ein Richtlinien-System auf? Da hat man sich viel an COBIT angelehnt, um letztendlich sicherzustellen, dass wir die Ziele, die wir haben auch erreichen. Und zwar so, wie wir uns das vorstellen.

Dann haben wir eben über die Praktiken geredet. Es gibt insgesamt 34 Praktiken, die zum Service Value System gehören.

Und last but not least zählt das Continued Service Improvement dazu. Das heißt, eine Feedbackkultur mit sogenannten „closed Feedbackloops“ zu schaffen, um letztendlich Dienste so zu entwickeln und zu betreiben, wie der Kunde sich das vorstellt. Das zentrale Element allerdings innerhalb des Service Value Systems ist die Wertschöpfungskette an sich. Oder im Englischen: die sogenannte Service Value Chain.

Und die ist jetzt was genau?

Die Service Value Chain beschreibt letztendlich die Art und Weise, wie ein Nutzen in der IT für das Unternehmen bereitgestellt werden kann. Und wenn man sich das dann mal aus Sicht des Unternehmens anschaut, fragt man sich: Was macht die IT für das Unternehmen? Es könnte zum Beispiel eine Wertschöpfungskette geben, die beschreibt, wie ich eine Störung behebe. Eine andere Wertschöpfungskette beschreibt, wie ich einen komplett neuen Dienst einführe. Eine Dritte zeigt vielleicht, wie ich einen bestehenden Dienst außer Betrieb nehme.

Das sind im Prinzip ganz unterschiedliche Praktiken und Vorgänge, die ablaufen innerhalb der IT. Aber ich habe keinen starren Zyklus mehr, wie ich es in ITIL® V3 mit Design, Transition und Operation hatte. Es steht der Anwendungszweck im Fokus. Und der Weg dort hin wird durch die Service Value Chain beschrieben. Ich bin in ITIL® 4 also viel flexibler, mir Wertschöpfungsketten zusammenzubauen und zu generieren, die viel schneller auf den Punkt kommen, als ich das in den bisherigen ITIL Modellen kannte.

Ok, aber jetzt haben ja viele Unternehmen ihre Prozesse nach ITIL® V3 ausgerichtet und viele Personen haben sich auch in dem Bereich zertifiziert. Können die damit denn jetzt einfach so weitermachen oder müssen sie jetzt alles über Bord werfen und von vorne anfangen?

Das ist eine gute Frage. Fangen wir erst einmal mit den Projekten an. Erstmal die gute Nachricht: Wenn ich vor einem Jahr oder noch früher angefangen habe, ITIL® V3 Prozesse in meinem Unternehmen einzuführen, dann habe ich alles richtig gemacht. Denn alle Elemente, die es bisher in ITIL® V3 gab, gibt es in ITIL® 4 auch. Das heißt, die ganzen Prozesse, die ich etabliert habe, nutzen mir auch in Zukunft etwas. ITIL® 4 muss man sich eher als eine Ergänzung vorstellen, mit denen ich „on top“ auf diesen Prozessen ein Wertesystem aufbaue und Wertschöpfungsketten generiere, die sich diese vorhandenen oder etablierten Prozesse dann zunutze machen. Bedeutet, wer jetzt mitten drin ist oder auch schon in der Vergangenheit ITIL® V3 Prozesse etabliert hat, kann darauf aufbauend ein Wertesystem schaffen. So, das ist die Projektseite.

Was die Zertifizierungen angeht, da gibt es eine ganz konkrete Aussage von Axelos: Wer mit einer ITIL® V3 Zertifizierung angefangen hat, soll diese möglichst auch weiter machen. Das hat verschiedenste Gründe. Zuerst einmal: Viele Dinge, die in ITIL® V3 gelehrt werden, sind nach wie vor auch in ITIL® 4 gültig. Außerdem gibt es die ITIL® 4 Kurse und Prüfungen noch nicht. Bis die alle am Markt sind, kann das es noch ein bis zwei Jahre dauern. Also eine komplette ITIL® 4 Zertifizierung, wie sie skizziert wird, ist bisher frühstens in zwei Jahren komplett möglich. Das Schöne ist aber, wenn ich den ITIL® V3 Track mit meiner ITIL® Foundation und den Intermediate-Kursen (Service, Design, Transition und Operation und so weiter) angefangen habe, dann kann ich das letzte Modul „Managing the Lifecycle“ weglassen und stattdessen einen 5-tägigen ITIL® 4 „bridging“ Kurs machen. Das hat den Vorteil, dass ich dann gleich eine ITIL® 4 Zertifizierung habe, die aufbaut auf mein ITIL® V3 Wissen. Das heißt, wer angefangen hat, soll weiter machen und lediglich das letzte Modul gegen ein ITIL® 4 Modul austauschen.

Und was bringt ITIL® 4 den Unternehmen jetzt ganz konkret?

Nun, ITIL® 4 ermöglicht es, diese Servicemanagement Praktiken viel einfacher und effizienter im Unternehmen einzuführen und mit viel weniger Aufwand zu betreiben, als das in den bisherigen Modellen beschrieben worden ist. Das liegt unter anderem natürlich auch daran, dass man sich in ITIL® 4 eine ganze Reihe an Best Practices aus anderen Frameworks zu eigen gemacht oder übernommen und adaptiert hat, sei es aus dem Lean Management oder aus dem agilen Umfeld. So kann ich den dynamischen Anforderungen, die ich heute habe, viel besser entgegenkommen, als in den bisher viel starreren Modellen.

Darüber hinaus ist ITIL® 4 ein eher ganzheitlicher Ansatz. Heißt, ITIL® V3 wurde eher als ein sogenanntes „Operations Framework“ gesehen und wurde von Entwicklern links liegen gelassen. Die haben sich eher mit agilen Frameworks auseinandergesetzt. Wenn man allerdings eine DevOps Strategie verfolgt, dann ist das natürlich kontraproduktiv. ITIL® 4 als solches unterstützt den gesamten DevOps-Gedanken, weil es eine ganze Reihe und Mechanismen sowohl für Entwickler als auch für Operations-Leute gibt, die insgesamt viel besser integriert sind. Man könnte also sagen, dass ITIL® 4 eigentlich ein sehr schönes Framework für einen ganzheitlichen DevOps-Ansatz darstellt und somit die Zusammenarbeit aller Bereiche in der IT viel besser fördert, als die Frameworks das bisher gemacht haben.

Lass uns zum Schluss noch über den allgemeiner Zertifizierungsweg sprechen. Denn es hat sich ja nicht nur das ITIL® Framework geändert, sondern dieser eben auch. Du bist selbst im Bereich ITIL® nicht nur von oben bis unten zertifiziert, sondern unterrichtest das Ganze auch noch. Wem würdest du eine ITIL® Schulung generell empfehlen?

Da ITIL® sehr intensiv über die Zusammenarbeit verschiedener Bereiche in der IT als Ganzes redet, empfehle ich zumindest ITIL® Grundlagen für jeden Mitarbeiter in der IT.

Darüber hinaus gibt es die sogenannten Intermediate-Kurse. Die sind für diejenigen interessant, die in einem bestimmten Bereich in der IT tätig sind. Ob das nun die Entwicklung von Diensten ist, die Einführung dieser oder ihr Betrieb. Da muss man eben auch schauen, wo ist mein Tätigkeitschwerpunkt und wie kann ich dort meine Abläufe als solches und mein Wissen rund um die Abläufe zur Optimierung schärfen.

Und dann gibt es noch die sogenannte ITIL® Expert Zertifizierung. Die richtet sich im Wesentlichen an diejenigen, die gesamte Prozessketten im Unternehmen einführen sollen. Also wessen Aufgabe es ist, Prozesse als Ganzes zu optimieren oder Prozessketten einzuführen, für den macht der ITIL® Expert als Ganzes Sinn.

Beratungssituation, bei der Unterlagen auf einem Tisch liegen.

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